L'écume des jours
Mit "L’écume des jours" präsentiert die Galerie Bob Gysin die neunte Einzelausstellung von Andrea Wolfensberger. Ihr Titel entstammt dem gleichnamigen Roman von Boris Vian.
"L'écume des jours" – der Schaum der Tage: Gedanken, Bilder, Impressionen, die aufsteigen und sich an der Oberfläche zu Bläschen bilden, die Welt spiegeln, bevor sie zerplatzen. Flüchtige Ereignisse. Einmalige, unwiderrufliche kleine Momente. Wie hält man die fest, wie erinnert man sich daran?
Diese Fragestellungen liegen Andrea Wolfensberger's neuen Arbeiten zugrunde. Sie befasst sich zudem weiterhin mit dem Thema Klang, diesmal mit Vogelstimmen und nicht mit dem menschlichen Organ wie in früheren Arbeiten. Ihre Bleistiftzeichnungen erinnern an Partituren in einem Schriften- oder Aufzeichnungssystem, das wir zu kennen glauben, aber nicht eindeutig entziffern können. Als Grundlage diente ihr ein wissenschaftliches Tonaufzeichnungssystem aus vordigitaler Zeit, das Sonagramm oder Schall-Spektrogramm. Die abgebildeten Zeichen erinnern an fernöstliche Schriftenmalerei. Sie entsprechen transformierten, in den 1960er bis 80er Jahren in Mitteleuropa aufgezeichneten Gesängen von Singvögeln, die zunehmend aus unseren Breitengraden verschwinden. Die eigentliche Partitur ist eine Kombination von Inhalt und visueller Formensprache, was den Zeichnungen eine Doppeldeutigkeit – lesbare Zeichen oder abstraktes Bild? – verleiht. Bereits vor 25 Jahren hat die Künstlerin Flugformationen von Staren in einer Videoarbeit festgehalten. Hier setzt sich ihre Auseinandersetzung mit Vögeln fort.
Die Lackarbeiten – eine Weiterentwicklung der Klangfelder – haben die Form aufgestiegener Luftblasen, die sich als Schäumchen an der Wasseroberfläche sammeln. Andrea Wolfensberger hat das akustische Medium Schall in das optische und haptische Medium Skulptur übertragen. Stimmaufzeichnungen, zweidimensionale grafische Darstellungen wurden zu räumlichen Gebilden. Die Künstlerin machte ursprünglich ephemere Schallwellen körperlich sichtbar. Diese Reliefs hat sie weiter entwickelt: Durch Interferenzfarbe, losgelöst von Klang oder Stimme, treten die Spiegelungen der Lackierungen ins Zentrum. Die als Reflektoren funktionierenden Blasen erzählen nicht von Vergangenem, sondern machen das Einmalige des Hier und Jetzt sinnlich erlebbar. Je nach Standpunkt der Betrachter_in zeigen sich neue Spiegelungen und Farbigkeiten.
In Andrea Wolfensbergers Schalenarbeiten aus den 1980er Jahren waren Reflexe und Lichtveränderung zentral, während sie in ihren Videos aus den 1990ern dokumentierte, wie sich durch Eingiessen von Himbeersirup in runde Trinkgläser dahinter liegende Landschaften nicht nur rosarot färben, sondern sich auch "auf den Kopf stellen".
Die konkave Form der überlagerten "Blasen" dreht die Spiegelung um 180 Grad. Die Werkgruppe "Schaum / écume", deren sich überschneidende konkave Blasen gespiegelte Objekte um 180 Grad drehen, ist ein Kondensat aus diesen früheren visuellen Arbeiten und Experimenten.