Ausstellung 2009
Andrea Wolfensberger eröffnet in ihren jüngsten Videos, Stills und Gemälden den Blick auf die Grundlagen von Medien und ergründet, inwiefern ein Medium die dargestellte Information prägt und sich ihr einschreibt. Mit medienspezifischen Eingriffen verfremdet die Künstlerin ihre Vorlagen und zeigt uns Phänomene in einer verstörenden Sinnlichkeit. Zu ihrer sechsten Ausstellung in der Galerie Bob Gysin erscheint ein Werkkatalog, der das umfangreiche Schaffen von Andrea Wolfensberger erstmals vollständig porträtiert.
Die stark verlangsamten Videos, die aus der Perspektive einer Schwimmerin den Meereswellengang zeigen, verleihen dem medialen Zugriff auf die Wirklichkeit Form. Das medial vermittelte Naturereignis erscheint in ungeahnter Plastizität, die wir aus der „natürlichen“ Schwimmerperspektive nicht wahrnehmen. Die starke Verlangsamung des Videos lässt die Wasseroberfläche überdies in einer Viskosität erscheinen, die nicht jener von Wasser entspricht - vielmehr jener von zähflüssigem Öl. Die Verfremdung, die die Künstlerin einzig durch medienspezifische Eingriffe einleitet, findet in den Stills eine weitere Steigerung. Die horizontalen Streifenzüge des sogenannten Halbbildes erscheinen als Störung, die das Motiv in unterschiedlichem Masse zerstückeln. Plakative, uniforme Farbfelder, die aus der Vergrösserung der Vorlage weit über die Pixelgrenze resultieren, können die Fragmentierung des Bildmotivs bis an die Grenzen zur Abstraktion weiter erhöhen.
In ihrem Gemäldezyklus befasst sich Wolfensberger mit der medienspezifischen Kodierung von Bildinhalten. Ein ausgezeichnetes Pressebild aus dem Jahr 2001 dient ihr als Vorlage. Die Fotografie zeigt die Ankunft von afrikanischen Flüchtlingen in einem kleinen Boot. Wolfensberger isoliert die eindringlichen Blicke der Flüchtlinge und deren Gesten und überträgt diese in einem Malstil, der das Druckraster der Zeitung aufnimmt, auf neun distinkte Tafeln von einheitlichem Format. Die Künstlerin löst die Protagonisten so aus ihrer ursprünglichen räumlichen Konstellation und verknüpft sie neu durch eine lineare Anordnung der Tafeln. Anstelle der instantanen Raumperzeption steht nun die sequentielle Leseweise, die den Faktor Zeit in der Rezeption von komplexen Konfigurationen thematisiert.
Neue Publikation: «Zeit-Lupen»
Ein wichtiger Schlüsselbegriff der Katalogbeiträge ist Medialität, dem die fünf Autoren auf unterschiedliche Weise nachgehen: Barbara Köhler definiert Medialität als Wahrnehmung durch und von Medien und verortet mit diesem Begriff den Tätigkeitsbereich der Künstlerin. Irene Müller betont die zentrale Bedeutung von Übersetzungsvorgängen, die Wolfensberger künstlerisch auslote. Ulf Wuggenig geht der Frage über Medienspezifität nach und Sarah Schmidt den Themenkreisen Entschleunigung und Informationsreduktion. Und Karen van der Berg schliesst in ihrem Exkurs über die Arbeiten von Wolfensberger: „Der mediale Blick erzeugt Verfremdungseffekte und macht uns die Welt unvertraut und doch gewinnen wir gerade hierdurch einen neuen Blick auf die Phänomene.“