plasticités
Mit dem Ausstellungstitel plasticités spielt Carmen Perrin sowohl auf die biologische Plastizität wie auch die physische Plastizität an. Letztere meint die Qualität vom "Annehmen verschiedener Formen", also Formbarkeit und Modellierbarkeit einer Substanz ohne ihre Zerstörung. Biologische Plastizität bezeichnet hingegen eine durch Umwelteinflüsse hervorgerufene starke Variabilität des Erscheinungsbildes eines Individuums. Beide Vorgänge markieren Transformationsprozesse ohne die ursprüngliche Materialität gänzlich hinter sich zu lassen. Für die Arbeiten von Carmen Perrin sind Umformungen dieser Art von zentraler Bedeutung. Das Schaffen der Genfer Künstlerin kreist zudem konsequent um Raum, Tiefe und Licht und deren Bezug untereinander. Materialien und die Auseinandersetzung mit ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit sind seit jeher ein wichtiger Bestandteil ihrer künstlerischen Praxis. Der Arbeitsprozess von Carmen Perrin fokussiert auf hinzufügen und wegnehmen, auf- und abtragen, zu- und aufdecken. Perforation ist ein wesentliches Mittel der Künstlerin um die Qualität, Eigenschaft und Tiefe eines Werkstoffes sichtbar zu machen.
Um die Stadt Berlin während ihres Reisestipendiums im Jahr 2012 zu erkunden, wanderte Carmen Perrin durch die Strassen, oftmals ziellos, manchmal mit Stadtplan. Analog zu ihren nicht dokumentierten Streifzügen kratzte die Künstlerin in ausladenden Gesten die Farbe von zuvor dunkel eingefärbten Landkarten weg. Ein neues Strassennetz, das sich nicht mit demjenigen der Realität deckt, überlagert als innere Kartographie die ursprünglichen Wege und Strassen.
Das Blatt ‚Glisse, contourne et perce‘ zeigt verschiedene Farbstiftlinien von bunt bis graphitgrau. Beim Zeichnen legte die Künstlerin das Papier auf einen weichen Untergrund, so dass je nach Druck der Mine Vertiefungen oder gar Löcher im Papier entstanden. Zufall und Kalkül werden im Arbeitsprozess gegeneinander aufgewogen.
In der Werkserie ‚Les Cahiers d’Alberto‘ schichtet die Künstlerin unzählige alte Kinoprogramme übereinander, welche sie von ihrem Vater geerbt hat. Die dicke Papierschicht wurde kegelförmig perforiert. Die Kegel öffnen sich auf eine Vielfalt von Bildern, die Handlungen, Gesten, Gesichter oder Landschaften zeigen.
Akkumulation, Rapport und das Wiederholen des Arbeitsprozesses sind zentrale Mittel von Carmen Perrin, mit welchen sie einen sehr vielseitigen Werkkörper schafft, der aber ihrem Kerninteresse, dem Erfahrbarmachen von Raum treu bleibt.