Eclipses
Carmen Perrin entlockt alltäglichen Materialien eine eigene Formensprache und kreiert leichte, semi-transparente Gebilde, die den Sehvorgang des Rezipienten auffächern. Ihre Arbeiten sensibilisieren uns für Wahrnehmungsprozesse und eröffnen ungeahnte Räume, die sich durch das Sinnliche hindurch auftun.
Eklipse bezeichnet ein astronomisches Ereignis, bei dem ein Himmelskörper für eine bestimmte Zeit partiell oder total verdeckt wird. Die Künstlerin überträgt diesen Mechanismus in ihre Arbeit und kreiert Tableaus, bei denen sich verschiedene Figuren auf ein und demselben Bild überlagern, für den Betrachter jedoch kaum gleichzeitig erkennbar sind. Vielmehr kann eine Bildebene die andere – wie bei der Mond- oder Sonnenfinsternis – gänzlich auslöschen.
Aus frontaler Sicht sieht der Betrachter eine unermessliche Anzahl kleinster Farbfelder, die auf der Rückseite der Polycarbonatwabe angebracht sind. Der pointillistische Farbenzauber löst sich abrupt auf, wenn die Arbeiten von der Seite betrachtet werden. Da wird ein Schleier ersichtlich, der an der vorderen Oberfläche der feinen Röhrchen haftet und wie aufgehaucht wirkt. Der dunkle Farbauftrag lässt Motive erkennen, die zwei- oder mehrdeutig sind und auf inhaltlicher Stufe eine oszillierende Bewegung fortführen.
Das Spiel mit Bildebenen, die sich gegenseitig aufheben, lässt den Rezipienten erfahren, dass Wahrnehmung ein bewegungsabhängiger Prozess ist. Anhand der optischen Eigenschaften des Polycarbonats veranschaulicht Carmen Perrin ferner, wie stark der Blickpunkt vom jeweiligen Standort mitbestimmt wird. Eine deutliche Wahrnehmung der Farbfelder findet nur im Zentrum des Blickwinkels statt, während die Punkte in der Peripherie in einem diffusen Farbspektrum aufgehen.
Die Gegenüberstellung von scharfem Blickpunkt und unscharfem Blickfeld übt auf den Betrachter zusammen mit dem Changieren zwischen Bildebenen einen starken Reiz aus und verführt ihn dazu, das Werk fortwährend aus einer anderen Perspektive zu erkunden. Die aktive Einbeziehung des Betrachters gelingt Carmen Perrin so in raumgreifenden Installationen - wie der begehbaren Passage im neuen Terminal des Zürcher Flughafens - wie auch im übersichtlichen Werkformat.
Bei den perforierten Holzstühlen findet eine Eklipse im übertragenen Sinn statt: Die Künstlerin blendet mit ihren Eingriffen die ursprüngliche Zweckbestimmung aus. Die unterschiedlichen Holzstühle werden durchlöchert, bis der äusserste Punkt erreicht ist, der die Stabilität des Objektes noch gewährleistet. Für Perrin wird die räumliche Struktur der perforierten Stühle zu einem porösen Raum, der wie ein Schwamm konstruiert ist. Der solide Gegenstand mutiert zum Gefäss, das die Leere umfasst. Die ursprüngliche Eigenschaft des Materials wird im Sinne der Eklipse überblendet und ins Gegenteil gedreht.