Promising Bay
Das fotografische Werk Georg Aernis bewegt sich an der Schnittstelle von Architektur und Natur, von Stadt und Landschaft. Die neuen Arbeiten aus der indischen Metropole Mumbai erzählen von einer Stadt im Umbruch, von kartografisch nicht genau erfassbaren Zonen, deren Gestalt sich amöbenartig ständig verändert. Entstehen und Zerfall liegen in "Promising Bay" nahe beieinander, Baustellen und Bauruinen sind manchmal kaum auseinanderzuhalten.
Bedingt durch ein rasantes Wachstum infolge landesinterner Migration lebt die Hälfte der 14 Mio. Einwohner Mumbais in Slums. Durch ihre über hundert Jahre alte Geschichte befinden sich einige Slums heute im Zentrum der Megacity, wo sie einer wirtschaftsorientierten Stadtentwicklung mit hoher Mobilität im Wege stehen. Um den Bau von neuen Schnellstrassen, Bahngleisen und Hochhäusern voranzutreiben, versucht der Staat, diese Slums zu beseitigen, ihre Bewohner zu enteignen und in hochverdichtete, schlecht erschlossene Wohnbauquartiere am Stadtrand umzusiedeln. Private Immobilienfirmen erstellen dort für die Regierung kostenlos qualitativ minderwertige Wohnbauten und erhalten als Anreiz im Gegenzug das Recht, innerstädtisches, teures Bauland höher zu verdichten. Dieses profitable Geschäft hat zu Geisterquartieren geführt mit leerstehenden Wohnsilos, deren vertikale Gebäudestruktur Arbeiten und Wohnen am gleichen Ort verunmöglicht.
"Promising Bay" macht auf respektvolle, unvoyeuristische Art und Weise die Lebensumstände Mumbais sichtbar. Waren in den früheren Serien jeweils nur menschliche Spuren sichtbar, so werden in einigen Bildern nun die Menschen selbst miteinbezogen. Stephan Berg schreibt dazu in ‚Sites & Signs’, der neuen Monografie zu Georg Aernis Werk: „Zum ersten Mal sind die Bühnen bevölkert. Zum ersten Mal werden nicht nur die Bedingungen des Stücks, um das es geht, sichtbar gemacht, sondern bis zu einem gewissen Grad die Akteure, das Stück selbst“. Dem Künstler ist diese herausfordernde Transition gelungen, es sind zwar Menschen im Bild, diese spielen aber nicht die Hauptrolle und sind auf selbstverständliche, subtile Art und Weise Teil einer präzisen Bildkomposition.
Sites & Signs. Fotografien von Georg Aerni / Photographs by Georg Aerni
Herausgegeben von Nadine Olonetzky. Mit Texten von Stephan Berg, Moritz Küng und Nadine Olonetzky. Texte Deutsch und Englisch. Gebunden, 312 Seiten, 411 farbige und 211 schwarzweisse Abbildungen, mit vollständigem Werkverzeichnis. ISBN: 978-3-85881-320-6. Verlag Scheidegger & Spiess