Echo
In «Echo», der zweiten Anina Schenker gewidmeten Einzelausstellung in der Galerie Bob Gysin, präsentiert die Künstlerin zwei neue Werkgruppen.
In ihrem Schaffen setzt sie sich seit jeher mit dem Ausloten der eigenen physischen und psychischen Zustände auseinander, vor allem in den Medien Fotografie und Video. Um das von blossem Auge Unsichtbare sichtbar zu machen, verwendet die Künstlerin eine meist für wissenschaftliche Zwecke eingesetzte High-Speed Videokamera, die statt der üblichen 25 Bilder pro Sekunde deren 3’000 aufnimmt.
«Echo» knüpft an Anina Schenkers erste Ausstellung (2012) in den Räumlichkeiten der Galerie an. 2012 präsentierte sie in «Stampede» nebst anderen Werken eine Art Tagebucheintragungen: Tuschelinien waren in ... YESTERDAY ... TODAY ... TOMORROW ... zu sehen. Diese Aufzeichnungen hätten einem Grafologen allenfalls Rückschlüsse auf die Befindlichkeit der Künstlerin oder Veränderungen in ihrer Persönlichkeit ermöglicht. In engem Zusammenhang mit jener Arbeit stand SCHAUM DER TAGE: Hier liess die Künstlerin ihre Gedanken schweifen und Formen entstehen, und brachte das Unterbewusste in organischen, flächigen Kreisen oder gewebeartigen, plastischen Knäueln zu Papier. Wurde daraus der Gemütszustand der Autorin spürbar oder liess er sich gar am Duktus des Pinsels ablesen?
Auch die beiden Werkgruppen in der aktuellen Werkschau – Zinnobjekte und Arbeiten auf Glas – drücken das Spiel der Künstlerin mit den Parawissenschaften aus. In den Zinnobjekten bringt sich Anina Schenker im weitesten Sinne durch ihren Gestus, einen physischen Akt des Werfens ins Werk ein, entstehen sie doch auf die gleiche Weise wie in der volkstümlichen Silverstertradition des Zufallsgiessens. Während die Endjahresgiesser hoffen, aus den Gebilden ablesen zu können, was sie im kommenden Jahr erwartet, lässt Anina Schenker jedoch alles offen: Nach dem Erkalten der aus einem explosionsartigen Ereignis entstandenen Objekte lässt sie sich weder auf eine Analyse noch auf eine Interpretation ein. Die filigranen, silbern glänzenden Strukturen spiegeln nichts vor, suchen keine Parallelen, bilden nichts ab.
Sind sie dennoch Porträts der Künstlerin? Könnte der Wurf des heissen Zinns ins Wasser und die entstandene Form trotzdem ein Ausdruck der psychischen und körperlichen Verfassung der Künstlerin sein? Wäre eine gewisse Zukunftsdeutung oder eine Interpretation in Richtung Porträt nicht doch möglich?
Auch in der zweiten Werkgruppe entstehen die Formen in gedecktem Kolorit durch die physische Geste der Künstlerin: Mit dem Spachtel überträgt sie pastose Farbe auf eine Glasplatte, bevor sie beides mit einer zweiten Glastafel bedeckt und mit ihrem eigenen Körper beschwert. Dadurch breitet sich die Farbe zwischen den beiden Glasplatten aus, bis sie eine beständige Form erreicht. Schliesslich trennt die Künstlerin die beiden analog dem Abklatschverfahren oder ähnlich dem Rorschachtest eingefärbten Platten und präsentiert sie in geringem Abstand hintereinander gesetzt.
Die abstrakten, minimalistischen Arbeiten beider Werkgruppen lassen sich als Mikro- oder als Makrokosmen lesen. Wie in ihren früheren Videoarbeiten geht es Anina Schenker darum, «die Masken fallen zu lassen», Zustände, Randzonen oder gar Grenzen auszuloten.