Ausstellung 2011/2012
Die Galerie Bob Gysin freut sich, zum ersten Mal Miriam Sturzeneggers Objekte und Zeichnungen, die sich durch Subtilität auszeichnen, zu präsentieren. Das Medium der Künstlerin ist die Zeichnung als eigenständige Kunstform, nicht als vorbereitende Skizze oder Studie. Die Haptik beim Zeichnungsvorgang ist eine wichtige Komponente, es geht um ein skulpturales Verständnis von Zeichnen, Zeichnen als Eingriff ins Papier, als physische Interaktion mit dem Papier, als Graben, als Spuren suchen und Spuren setzen.
Die Künstlerin dehnt den Werkbegriff aus, gewisse Zeichnungen begrenzen sich nicht auf ein einzelnes Blatt Papier, sondern dehnen sich aus über mehrere. Gruppen von A5-formatigen Arbeiten stehen auf kleinen Simsen, die Künstlerin arbeitet anders als bei Einzelwerken: In der Regel bewegt sich Miriam Sturzenegger in einem Feld als gegebener Raum, den sie durch das Setzen von Linien zu organisieren sucht. In den mehrteiligen Gruppen besteht die Idee, eine Form von Bewegung zu denken, die über mehrere Blätter erfolgt, wie ein Bogen in einer musikalischen Komposition. Jede einzelne Seite ist eine Einheit, die Spannung zieht sich aber weiter auf das nächste Blatt. Die Mehrteiligkeit gliedert die Bewegung und lässt deren Dichte variieren.
Ein konzeptuelles zeichnerisches Experiment liegt den Wandobjekten aus Papier und Gips zugrunde. Einzelne, einfach quer gefaltete A4-Blätter wurden von der Künstlerin in ihrer Tasche jeweils über viele Monate mitgetragen. Was bleibt an diesen Blättern haften, was zeichnet sich ab? Im Moment des Auffaltens wird der Falt zum Horizont, ein minimales Bild löst Raumbezüge zu Landschaft und Architektur aus. Als Träger dieser Dokumente dienen dünne Gipsplatten. Diese führen die fragilen, abgewetzten Fundstücke in Bildobjekte über. Der mineralische Untergrund gibt dem Ablagerungsprozess eine feste Verankerung.
Vergleichbar der Arbeitsweise der Zeichnungen gestaltet sich auch das Schaffen von räumlichen Objekten: Gefundene, weiss gestrichene Holzplatten oder -tafeln werden zu fragilen Wänden oder kabinettartigen Konstruktionen aufeinandergestellt, in einer temporär anmutenden Bauweise. Die Künstlerin bezieht Raum- und Lichtsituation mit ein und schafft Objekte, die zwischen Skulptur und Architektur fungieren. Im Werk «Behauptung» liegt ihr Interesse in der Ambivalenz zwischen der monolithischen Erscheinung und der Fragilität der dünnen Wand. Ein geringer Abstand lässt die Monumentalität zerfallen, sichtbar werden Spalten. Der Blick des Betrachters folgt den Zwischenräumen, das Objekt erhält den Aspekt einer Zeichnung. Damit das Objekt ein Eigenleben entwickeln kann, verwendet die Künstlerin keine neuen, glatten Platten, sondern solche mit Gebrauchsspuren, die sich auf dem weissen Anstrich wie in einem verräumlichten Papier abzeichnen.
Kleine Simse werden zu Wandobjekten, wobei der Fokus nicht auf ebendiesen liegt, sondern der minimale skulpturale Eingriff in die Wand verändert die Lichtverteilung auf dieser. Es entsteht eine «Lichtvermehrung» oberhalb des Simses und eine Verminderung unterhalb. Der Prozess ist nicht steuerbar, er verändert sich während des Tages durch den Einfall von Tageslicht und die Verwendung von Kunstlicht, die Künstlerin dokumentiert die Veränderung und schärft so unsere Wahrnehmung.
Biographie Miriam Sturzenegger